Nur
wenige Spielregeln sind unverrückbar
Alles darf erzählt werden, nichts
muß gut-, nichts muß schlecht geheißen werden. Über
niemanden wird gerichtet.
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Niemand muß
reden.
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Die Bereitschaft
zur Verschwiegenheit über Personen und über Persönliches,
das in der Gruppe besprochen wird, ist Voraussetzung für die Teilnahme.
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Über den Verzicht
auf körperliche Gewalt bei Unbehagen und Auseinandersetzungen besteht
Einigkeit.
Die Begleitung der Gruppe soll nach
meinem Aufgabenverständis vor allem eine von körperlichen und
psychischen Schwankungen des Lebens mit HIV und AIDS unabhängige Gewähr
der Stabilität der Gruppenveranstaltung bieten, sicherstellen, daß
jede/r zumindest einmal im Verlauf des Abends die Gelegenheit zur Äußerung
erhält, sicherstellen, daß neue TeilnehmerInnen einen
Zugang zur Gruppe finden, intervenieren, wenn extremer Problemdruck einer
einzelnen Person die Gruppe deutlich überfordert, die Gruppe also
geschützt werden muß, intervenieren, wenn die Gruppendynamik
zu Verletzungen oder Gemütsverfassungen führt, die Schutz vor
der Gruppe erfordern, neben grundsätzlicher Zurückhaltung in
wichtigen Momenten Gesprächssituationen zuspitzen oder klären
helfen, die Einhaltung der Spielregeln kontrollieren.
Die Phase im Leben mit AIDS, in der
der Besuch eines Selbsthilfetreffens als Bereicherung empfunden wird, kann
sehr unterschiedlich liegen. Bei jener liegt sie im zwölften Jahr
nach dem Testergebnis, bei diesem drei Wochen danach. Mancher kommt in
der Situation äußerster Lebenskrisen, ein anderer denkt sich,
von meinen zahlreichen Erfahrungen ließe sich anderen etwas abgeben.
Manche kommen, weil sonst im Alltag kein Wort über ihre Erkrankung
geredet werden darf, andere kommen, weil nach der Flut von Kommentaren
zu "ihrem" AIDS alles einmal von anderen Betroffenen gesichtet und beurteilt
werden soll, wieder andere, weil AIDS einfach einen sicheren Platz in der
Woche haben soll, um nicht heimlich über alles herrschen zu können.
Und immer wieder hilft das Selbsthilfetreffen, um "normal" und "unnormal"
in diesem Leben wieder selbst definieren zu können, das nach so ganz
anderen Maßstäben wie das der Nicht-Infizierten abläuft.
Denn das Leben mit AIDS, und das ist die andere Seite, ist bei allen Verbesserungen
voller Angst, voller Überforderungen und voller Unwägsamkeiten.
Unerschöpflich sind die Gesprächsbedürfnisse:
"Als ich das Testergebnis hatte, habe ich gewartet, daß ich nun sterbe.
Aber ich lebte immer weiter. Jetzt habe ich gedacht, ich komm´ mal
hierher. "Bei mir steht eine neue Kombination von Medikamenten an. Hat
jemand damit schon Erfahrung. Ich habe solche Angst davor!" "Bei mir klappte
es einfach nicht mehr im Bett. Ich habe das Gefühl, es muß nur
noch einer kommen und die Kerze ganz ausblasen. Kennt Ihr diese Todesangst?"
"Ich konnte es ihr einfach nicht sagen. Da habe ich das ganze Küchengeschirr
zerdeppert. Es kam einfach über mich. Jetzt hat sie mich verlassen.
Und jetzt?" "Morgen habe ich einen Termin im Personalbüro. Soll ich
es dem Chef sagen oder nicht? Der schmeißt mich glatt raus. Aber
ich schaffe den Job einfach nicht mehr. Was dann?" "Und jetzt?", "Und dann?",
"Fällt Euch was dazu ein?", so beginnt häufig jemand.
Und zwischendurch gibt es dann wieder
Momente, in denen gelacht, geplaudert oder ein Erfolgserlebnis vermeldet
wird. Jemand sagte: "Ich habe mich zu lange eingeschlossen. Ich habe auch
nicht gewußt, daß hier so viel gelacht wird."
Gelegentlich hörte ich in den vergangenen
Jahren kritische Äußerungen, eine fachlich begleitete Selbsthilfegruppe
wäre gar keine "echte" Selbsthilfegruppe. Ich denke jedoch, die vergangenen
Jahre haben gezeigt, wieviele Menschen in diesen Runden geben und nehmen
konnten, ohne durch die Begleitung gestört, entmündigt und unselbständig
gemacht zu werden. Die, meine ich, wichtigen Funktionen solcher Begleitung
eines Selbsthilfetreffens für Menschen mit HIV und AIDS habe ich oben
ausgeführt. Es geht ja bei diesem Angebot nicht um einen solzialpädagogischen
Leistungstest für Betroffene nach dem Motto: "Jetzt wollen wir mal
sehen, ob ihr es auch ohne jede Unterstützung ganz alleine schafft." |
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